Sammlungen & Ausstellung |
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Die geologisch-paläontologischen Sammlungen
der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg |
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Norbert Hauschke |
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1. Einführung 2. Abriß der Sammlungsgeschichte 3. Gedanken zur aktuellen Situation der Sammlungen 4. Perspektiven. Schließt sich der Kreis vom Naturalienkabinett zum "Universeum"? |
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1. Einführung Die geologisch-paläontologischen Sammlungen der Martin-Luther-Universität zählen zu den umfangreichsten und bedeutendsten ihrer Art in den neuen Bundesländern. Sie sind Bestandteil des Instituts für Geologische Wissenschaften und Geiseltalmuseum am Fachbereich Geowissenschaften, das seinen Hauptsitz derzeit noch im Zentrum von Halle hat, nämlich in der "Neuen Residenz" des Kardinals Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Nach dem bevorstehenden Umzug des Instituts in ein Universitätsgebäude, das den modernen baulichen Anforderungen von Lehre und Forschung besser gerecht wird, soll die " Neue Residenz", die eines der kulturgeschichtlich bedeutsamsten Bauwerke der Stadt Halle darstellt, einer neuen Nutzung zugeführt werden. Seitens der Universität sind Bestrebungen im Gange, ein naturwissenschaftliches Universitätsmuseum unter dem Dach dieses geschichtsträchtigen Renaissancebaues zu begründen, das die Voraussetzungen dafür schaffen soll, sämtliche Bereiche der reichen naturwissenschaftlichen Sammlungen der Martin-Luther-Universität einer interessierten Öffentlichkeit angemessen zu präsentieren. |
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2. Abriß der Sammlungsgeschichte Die geowissenschaftlichen und andere naturwissenschaftliche Sammlungen an der Martin-Luther-Universität haben ihre Ursprünge in den Naturalienkabinetten des 17. und 18. Jahrhunderts (KRUMBIEGEL & SCHWAB 1974). Einen authentischen Einblick in eine solche barockzeitliche "Wunderkammer" vermittelt die Kunst- und Naturalienkammer der Franckeschen Stiftungen in Halle (MÜLLER-BAHLKE 1998). Dem Mineralienkabinett der Universität standen als Direktoren so bedeutende Persönlichkeiten vor wie J.R. Forster (1729-1798), der zusammen mit seinem Sohn Georg an der 2. Weltumseglung von J. Cook (1728-1779) teilgenommen hatte, und E.F. Germar (1786-1853; Abb. 1), der als Professor für Mineralogie das Mineralienkabinett 40 Jahre lang betreute. Germars Bedeutung liegt nicht zuletzt darin, daß er im Permokarbon der nördlich Halle gelegenen Region um Wettin und Löbejün systematische Aufsammlungen von fossilen Floren und Faunen, darunter Insekten und Spinnen, vornahm und wissenschaftliche Bearbeitungen insbesondere an dem paläobotanischen Material durchführte (GERMAR 1844-1853), die bis heute von grundlegender Bedeutung geblieben sind. Folgt man den Ausführungen K. VON FRITSCHS (1838-1906; Abb. 2), die sich in dessen "Führer durch das Mineralogische Institut der Kön. ver. Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg" von 1901 finden, so darf Germar als der eigentliche Begründer der später vielgerühmten geowissenschaftlichen Sammlungen der Universität gelten. Mit der Berufung K. von Fritschs zum Professor für Mineralogie und Geologie im Jahre 1873, in der Nachfolge von H. Girard (1814-1878), des Nachfolgers von E.F. Germar im Amt, wurde das Mineralienkabinett in den Rang eines Mineralogischen Instituts erhoben. Unter von Fritsch erlebten die geowissenschaftlichen Sammlungen mit Blick auf deren Erweiterung und Präsentation eine erste Blütezeit. So konnten in seiner Amtszeit im Saaleflügel der "Neuen Residenz" große Teile des ersten Stocks zu Sammlungssälen umgestaltet werden, die neben einer umfangreichen "Heimatsammlung" mit Fossilien aus der damaligen Provinz Sachsen und benachbarten Gebieten die Sammlung von Pflanzen- und Tierfossilien in systematischer Anordnung sowie die Mineralien-Sammlung aufnahmen. Durch gezielte Erwerbungen und Schenkungen wuchsen die Sammlungsbestände beträchtlich an; auch seine wertvolle Privatsammlung und Bibliothek überließ von Fritsch dem Institut als Geschenk (REICHSTEIN 1998). Mit dem Amtsantritt von Johannes Walther (1860-1937; Abb. 3) im Jahre 1906 wurde eine strukturelle Umgestaltung des bisherigen Mineralogischen Instituts eingeleitet, das 1907 umbenannt wurde in "Geologisches und Mineralogisches Institut"; mit der Berufung des Mineralogen F. von Wolff (1874-1952) im Jahre 1914 erfolgte schließlich eine Trennung in zwei eigenständige Institute. Damit einher ging eine weitere deutliche Ausdehnung der Ausstellungsbereiche bei gleichzeitiger räumlicher Trennung in eine geologisch-paläontologische Abteilung im Obergeschoß des Saaleflügels und eine mineralogisch-petrographische Abteilung in dessen Untergeschoß. Der Umzug des Mineralogisch-Petrographischen Instituts in das nahe gelegene Gebäude des ehemaligen Oberbergamtes am Domplatz 1 in den Jahren 1936/37 veranschaulicht die zunehmende Spezialisierung innerhalb der einzelnen Fachdisziplinen. |
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Abb.1. Ernst Friedrich Germar (1786-1853), von 1811-1851 Professor für Mineralogie und Direktor des Mineralien-kabinetts. Archivfoto. |
Abb. 3. Johannes Walther (1860-1937), von 1906-1929 Professor für Geologie und Paläontologie. Archivfoto. |
Abb. 3. Johannes Walther (1860-1937), von 1906-1929 Professor für Geologie und Paläontologie. Archivfoto. |
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Unter J. Walther als Direktor erlangte das Geologische Institut der halleschen Universität Weltgeltung (SEIBOLD 1992). Walthers richtungweisende Untersuchungen zur Riff- und Wüstenforschung, die er auf zahlreichen Reisen weltweit betrieb, genießen bis heute international hohe Anerkennung (GINSBURG et al. 1994, GISCHLER & GLENNIE 1997). Seine moderne, aktualistisch geprägte Denkweise findet sich umgesetzt auch in einer neuen Ausstellungskonzeption, die sich anhand seines "Führers durch die Lehr- und Schausammlungen des Geologisch-Palaeontologischen Instituts der Universität Halle" von 1928 gut nachvollziehen läßt. |
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3. Gedanken zur aktuellen Situation der Sammlungen Mit der Neugründung des Fachbereichs Geowissenschaften 1991 wurde der Versuch unternommen, an die große geowissenschaftliche Tradition in Halle anzuknüpfen, was sich deutlich ausdrückt in der Einrichtung von je sieben Professuren an den Instituten für Geographie sowie für Geologische Wissenschaften und Geiseltalmuseum. Die folgende Auflistung gibt einen Überblick über wissenschaftliche Fossilbearbeitungen, zu denen Originale in Halle aufbewahrt werden (im vorgegebenen Rahmen können lediglich die Autoren mit dem Erscheinungsjahr der entsprechenden Publikation, jedoch ohne vollständiges Zitat, aufgeführt werden; Berücksichtigung fanden zudem vorrangig Pflanzen und Invertebraten): Pflanzen: Barthel, M. (1958, 1961, 1962, 1963), Daber, R. (1955), Dunker, W. (1851), Feistmantel, O. (1873), Florin, R. (1938-1945), Friedrich, P. (1883), Fritsch, K.v. (1885, 1897, 1906), Germar, E.F. (1837, 1846, 1852, 1853), Giebel, C. (1848, 1852, 1853, 1856a, 1856b, 1856c, 1856d, 1857, 1858), Gothan, W. & Schriel, W. (1928), Heer, O. (1861), Mägdefrau, K. (1931, 1936, 1938, 1956), Mai, D.H., Majewski, J. & Unger, K.P. (1963), Potonié, H. (1901), Remy, W. & Remy, R. (1959a, 1959b), Richter, R. & Unger, F. (1856), Salfeld, H. (1909), Solms-Laubach, H.v. (1899), Sterzel, J.T. (1893), Stiehler, A.W. (1855-1858), Weigelt (1928, 1929-1931, 1932), Weiss, E. (1876, 1884), Weiss, E. & Sterzel, T. (1893). Invertebraten (nur untergeordnet Vertebraten): Beyschlag, F. & Fritsch, K.v. (1899), Biese, W. (1927), Bittner, A. (1890), Böhm, J. (1920), Bornemann, J.G. (1856, 1886a, 1886b, 1891), Burmeister, H. (1843), Dette, K. (1933), Dewitz, H. (1880), Dietz, E. (1909), Franke, E. (1971), Frech, F. (1890, 1891), Freyberg, B.v. (1923), Fritsch, K.v. (1901-1906), Germar, E.F. (1840, 1849, 1853), Giebel, C. (1848, 1852, 1853a, 1853b, 1856a, 1856b, 1856c, 1858, 1863), Gottsche, C. (1878), Handlirsch, A. (1906-1908), Haupt, H. (1951, 1952), Hauschke & Wilde (2000), Hemmann, M. (1944, 1951, 1952, 1955, 1956), Hunger, R. (1939), Jaekel, O. (1899), Jessen, W. (1932, 1933), Kayser, E. (1878), Korn, H. (1930), Krumbiegel, G., Deichfuss, H. & Deichfuss, H. (1980), Krumbiegel, G. & Schwab, M. (1980), Kuhn, O. (1939a, 1939b, 1940), Laatsch, W. (1931), Lotz, H. (1901), Mägdefrau, K. (1937), Merkel, O. & Fritsch, K.v. (1897), Mertin, H. (1939, 1941), Müller, A.H. (1969), Novák, O. (1890), Philippi, E. (1901), Picard, E. (1903), Picard, K. (1892), Richter, R. (1866), Röpke, W. (1933), Rothpletz, A. (1909), Sandberger, G. u. F. (1850-1856), Scupin, H. (1912-1913), Scharf, W. (1923-1924), Schellwien, E. (1892), Schlechtendal, D.v. (1887, 1888, 1894), String, P. (1965), Tembrok, M.L. (1968), Tiessen, E. (1895), Voigt, E. (1930), Volk, M. (1967), Volz, W. (1896), Walther, K. (1907), Weigelt, J. (1919, 1922, 1928, 1930a, 1930b, 1930c, 1930d, 1932), Weissermel, W. (1926), Weyer, D. (1979, 1980, 1982, 1984), Weyer, D. & Zagora, K. (1990), Wöhrmann, S.v. & Koken, E. (1892), Zincken (1862). |
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Orginalblatt aus GERMAR (1851) |
Asterotheca (al. Pectopteris) arborescens (Schlotheim) Kidson. Oberkarbeon (Stefan) Wettin. |
Orginalvorlage zu BORNEMANN 1856 | |||
Anhand einiger Beispiele soll veranschaulicht werden, an welchen Fossilgruppen in den letzten Jahren umfassendere wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt wurden: Archaeocyathiden (Slg. Bornemann), Bryozoen (Slg. Korn), Korallen (Slg. Frech, Slg. Volz), Trias-Cephalopoden (Slg. v. Fritsch); daneben wurde die Gattung Pleuromeia (u.a. Slg. Mägdefrau) einer Neubearbeitung unterzogen. Ausleihen betreffen jedoch nicht nur wissenschaftlich zu bearbeitendes Material, sie erstrecken sich auch auf Sammlungsstücke, die für Sonderausstellungen benötigt werden. So wurden beispielsweise für die Ausstellung "Bernstein. Tränen der Götter", die 1996/97 im Deutschen Bergbau-Museum Bochum gezeigt wurde (GANZELEWSKI & SLOTTA 1996), Lackfilme der "Blauen Erde" des Samlandes ausgeliehen. Aber auch bei verschiedenen thematischen Ausstellungen des Instituts, die teilweise in Kooperation mit anderen Institutionen durchgeführt wurden, konnte zu einem großen Teil auf die eigenen Sammlungsbestände zurückgegriffen werden, so 1996 bei der Ausstellung "Johann Georg Bornemann (20.5.1831 - 5.7.1896) - Dokumente zu seinem Leben und Werk" (HAUSCHKE et al. 1996) oder 1998/1999 bei der Sonderausstellung "Trias. Eine ganz andere Welt" (HAUSCHKE & WILDE 1998, 1999), die zunächst im Stadtmuseum in Halle (Saale) und anschließend im Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main gezeigt wurde. In kleinerem Rahmen wurde letztere Ausstellung, jetzt ohne Berücksichtigung von Leihgaben und unter Vernachlässigung speziellerer Ausstellungsaspekte, als Dauerausstellung zum Thema "Trias" in das Institut integriert, die Studierenden jederzeit und Besuchern zu besonderen Gelegenheiten oder nach Voranmeldung offen steht. |
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Limulus decheni Zincken aus den Domsener Sanden (Obereozän) von Teuchern im südlichen Sachsen-Anhalt. (Länge des Stückes 40 cm) | Limulus henkelii von FRITSCH aus dem Unteren Muschelkalk von Bad Kösen | ||||
Die geologisch-paläontologischen Sammlungen sind sowohl thematisch als auch stratigraphisch und regional sehr breit angelegt, besitzen allerdings einen regionalgeologischen Schwerpunkt im mitteldeutschen Raum, was sich u.a. in entsprechend großen Sammlungsbeständen aus Perm (Rotliegend und Zechstein, insbesondere Kupferschiefer) und Trias ausdrückt. Genannt seien stellvertretend Unter den personengebundenen Sammlungen sei beispielhaft die "Sammlung Johannes Walther" genannt, in die vorzugsweise Material zu seinen Riff- und Wüstenforschungen eingegangen ist. Dieser Sammlungskomplex, zu dem auch ein nachgebautes Korallenriff zählt (HAUSCHKE 1997), verweist auf den globalen Anspruch der Sammlung in ihrer Ganzheit. So wurde im Verlauf der Sammlungsgeschichte großer Wert darauf gelegt, daß neben einer möglichst lückenlosen Dokumentation der regionalen Geologie und Paläontologie auch Gesteine und Fossilien von wichtigen Fundpunkten weltweit in die Sammlung gelangten. Neben einer möglichst umfassenden Gesteins- und Fossildokumentation, die die gesamte Erdgeschichte berücksichtigt und u.a. Belege aus den kambrischen Burgess-Schiefern oder der Trias von Timor enthält, weist die Sammlung auch beachtliche Altbestände von Fossilfunden wichtiger deutscher Fossillagerstätten, wie Solnhofen oder Holzmaden (darunter das Original des Meereskrokodils Mystriosaurus bollensis zu D'Alton & Burmeister 1854: Taf. 9-10 aus dem Unteren Jura von Boll in Württemberg), auf. Zu den wichtigsten Aufgaben gegenwärtig und in der Zukunft gehört die fortschreitende Nutzbarmachung der Sammlungen. Diese knüpft sich eng an eine möglichst vollständige Inventarisierung des Sammlungsbestandes. Um die Sammlungen zukünftig Interessenten weltweit über das Internet verfügbar machen zu können, ist zudem eine elektronische Speicherung der Sammlungsdaten unabdingbar. Erste Schritte in diese Richtung konnten bereits getan werden. Dennoch zeichnet sich deutlich ab, daß das ins Auge gefaßte Ziel ohne eine angemessene personelle Ausstattung der Sammlungen bzw. ohne Entlastung der Sammlungsverantwortlichen von zahlreichen anderen Aufgaben in sehr weite Ferne rückt. |
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4. Perspektiven. Schließt sich der Kreis vom Naturalienkabinett zum "Universeum"? Daß der einst für Forschung und Lehre unbestrittene Wert naturwissenschaftlicher Sammlungen an der Martin-Luther-Universität heute auf dem Prüfstand steht und kritisch hinterfragt wird, kann hier nur angedeutet werden. Die zur Rede stehenden Probleme sind jedoch kein auf die Situation an deutschen Universitäten oder gar ein auf die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg begrenztes Thema (z.B. Deutscher Museumsbund 1984, Taub 1998, Brüning 1999). Der Gedankenaustausch mit Sammlungsverantwortlichen von verschiedenen europäischen Universitäten zeigt vielmehr, daß zahlreiche naturwissenschaftliche Universitäts-Sammlungen in den vergangenen Jahrzehnten unter einem mitunter dramatischen Bedeutungsschwund zu leiden hatten. |
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5. Literatur BREMER, Th. & WEGENER, P. [Hrsg.] (2001): Alligators and Astrolabes. Treasures of University Collections in Europe. - Academic Heritage and Universities - Responsibility and Public Access. - 62 S.; Halle (Saale). |
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Aus: "Naturkundliche Museen und Sammlungen in Sachsen-Anhalt." Mitteldeutscher Verlag Halle (Saale); mit geringen Änderungen |
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