Interaktionen von Wasser und wässerigen Lösungen mit Tonen

Auswirkungen auf Baugrund- und Hangstabilität, Gleit-, 
Rutsch- und Rheologieverhalten von Tonen

10/2001-07/2002 gefördert durch ein Graduiertenstipendium des Landes Sachsen-Anhalt

1.       Problemstellung und Zielsetzung

Seit jeher stellen die Standsicherheit von Hängen und Böschungen (siehe Abb.1) in Tonen und Tonsteinen, die Baugrundstabilität und Bauwerksschäden  infolge von Quellen und Schrumpfen ein grundlegendes Problem der Ingenieurgeologie dar und haben teilweise katastrophale Auswirkungen für Bauwerke und Menschenleben.

Abb.1: Rutschung in einem Tonabbau

Mit der detaillierten Kenntnis der Wasserbindungsstruktur in Tonböden kann deren Verhalten besser als vorher beschrieben werden, beispielsweise die Stabilität und das Gleit- und Rutschverhalten von Tonsedimenten rechnerisch modelliert, Baugrundmeliorationen, z.B. durch Beeinflussung des Quell- und Schrumpfverhaltens bzw. des Scherverhaltens durch gezielte Ionenzugabe durchgeführt, sowie Transportmechanismen für Schadstoffe besser eingeschätzt werden. Auch die Rheologie in Keramiksuspensionen sowie das Brennverhalten bzw. die zu erwartenden Eigenschaften nach dem Brennen können damit genauer erklärt werden. Ziel dieser Arbeit soll es sein, zum einem Grundlagen zur Charakterisierung der Mineralphasen und ihrer technologischen Einsatzmöglichkeiten zu erforschen, zum anderen einen ganzheitlichen Ansatz des Einflusses des in Tonen gebundenen Wassers und geeignete Indexversuche zu finden, um in der Praxis mit geringstmöglichem Aufwand den Charakter der „Wasserbindungsstruktur“ eines Tons zu ermitteln, und das daraus resultierende Verhalten qualitativ und möglichst auch quantitativ abschätzen zu können.

Die Eigenschaften von Tonen konnten bislang mit den speziellen Ansätzen der einzelnen geowissenschaftlichen Disziplinen nicht zufrieden stellend erklärt werden, deshalb wird im Rahmen dieser Arbeit ein fachübergreifender Lösungsansatz durch die Kombination von mineralogischen mit ingenieurgeologisch-geotechnischen Vorgehensweisen angestrebt.

Es ist davon auszugehen, dass alles an bzw. in den Tonen gebundene Wasser in unterschiedlichem Maß Einfluss auf die physiko-mechanischen Eigenschaften der Tone hat deren Quantifizierung und Fassung in Gesetzmäßigkeiten bisher nicht oder nur ansatzweise gelungen ist. Oftmals werden daher nur beobachtete Phänomene beschrieben, ohne die Ursachen erklären zu können. Auch die Wirkung von Elektrolyten und organischen Substanzen in der Porenlösung darf bei der Erklärung von Toneigenschaften nicht unbeachtet bleiben.

Aus der Kombination der „traditionellen“ Stoffgesetze aus der Bodenmechanik, dem Prinzip der effektiven Spannungen, die theoretisch auch für ein Tonpulver gelten aber die in Tonen enormen Wechselwirkungen zwischen Feststoff und Wasser vernachlässigen, der Tonmineralogie, der Grenzflächen-Thermodynamik und der Hydrodynamik sowie der Kenntnis der Wasserbindungsstrukturen könnten physikalische Eigenschaften von Tonböden z.B. das Wasserrückhaltevermögen zur Erklärung von Rutschungsmechanismen oder die Rheologie von Ton-Wasser-Suspensionen abgeleitet werden. Als vorläufige Klassifizierungsgrundlage sollen wassergehaltsabhängige Eigenschaften, wie z.B. Plastizität nach Casagrande, dienen, die mit dem Mineralbestand verknüpft werden sollen. Darauf aufbauend sollen weitere prägende Faktoren untersucht werden, wie beispielsweise die Entwicklung der Überlagerungsspannung (Be- und Entlastungsgeschichte), um diese mit tonmineralogischen und petrographischen Merkmalsunterschieden in Beziehung zu setzen.

2. Bisheriger Stand der Forschung

Bislang wurde auf verschiedenen Gebieten mehr oder weniger isoliert versucht, Tone zu klassifizieren oder ihre Eigenschaften zu erklären, so befassten sich:

-         Tonmineralogen mit der Struktur der Tonminerale und der Identifizierung der verschiedenen Minerale,

-         Bodenmechaniker mit dem Wasser-gehalt und der daraus resultierenden Konsistenzen, beziehungsweise der Konsolidierungsgeschichte , und den Texturen und Strukturen in Tonen und deren Wirkung auf Scherverhalten etc.,

-  Physiker und Chemiker mit den Wechselbeziehungen an der Grenzfläche Wasser / Feststoff in kolloiden Lösungen (DLVO-Theorie).

Die Tonmineralogie konnte bisher die Struktur (den Bauplan) erfassen, die sich durch die Kombination von Tetraederschichten mit in Sechserringen koordinierten [SiO4]-Tetraedern und Oktaederschichten mit über die Kanten verknüpften [M(O,OH)6]-Oktaedern erklären lässt (siehe Abb.2). Aufgrund des Elektronen-überschusses können in den Oktaederlücken, in einer diffusen Doppelschicht und den intrakristallinen Zwischenschichten Kationen oder Dipole wie das Wassermolekül eingebaut werden, so dass sich entsprechend unterschiedliche Zweischicht- (Serpentine, Kaoline) und Dreischicht-Tonminerale (Talk-Pyrophyllit-Gruppe, Smectite, Vermiculite, Illite, Sepiolith-Palygorskit-Gruppe) bilden können. Auch regelmäßige oder unregelmäßige Wechsellagerungsminerale in allen denkbaren Kombinationen sind möglich. Die als Grundlage notwendige Identifizierung und Bestimmung der Kristallstruktur erfolgt vor allem durch die Röntgendiffraktometrie, Infrarot-Spektroskopie und Thermische Analyseverfahren.

Abb.2: Räumliche Darstellung der Schichtstruktur (aus Jasmund & Lagaly, 1993)

a)      Zweischichtminerale

b)      Dreischichtminerale

Die mineralogische Charakterisierung von Tonmineralen erfolgt durch die Messung der Basisreflexe im Röntgendiffraktogramm (siehe Abb.3), bzw. unter Ausnutzung der intrakristallinen Reaktivität der Änderung der Abstände dieser Basisreflexe in Gegenwart von Einlagerungsverbindungen z.B. DMSO für Kaolinit und Halloysit (Chlorit und Serpentinit zeigen keine Reaktion), Ethylenglykol, Glycerin und KCl zur Unterscheidung von Smectiten und Vermiculiten. Auch Erhitzen auf 500 °C bei dem Kaolinit und Halloysit im Gegensatz zu Chlorit zerstört werden kann zur Diagnose herangezogen werden. Die Schichtladung wird durch Einlagerung von Alkylammoniumionen bestimmt, v.a. um Smectite und Vermiculite zu unterscheiden. Aus den entsprechend der Absorptionskoeffizienten korrigierten Reflexintensitäten ist eine semiquantitative Bestimmung der Zusammensetzung eines Tonmineralgemisches möglich, indem die Summe aller Integralintensitäten als 100 % angenommen wird. Hierfür müssen Peaküberlagerungen jedoch gesplittet werden.

Abb.3: Ausgewählte Röntgendiffraktogramme von Kaoliniten unterschiedlicher Kristallinität (aus Jasmund  & Lagaly, 1993). a) Kaolinit von Keokuk, Iowa, b) Kaolinit aus der Leitschicht Grube Rohrdorf, Oberpfalz, c) stark fehlgeordneter Kaolinit, Oberpfalz

Durch Konsolidierung der lockeren Tonsedimente entstehen je nach Aggregation  der Tonpartikel in der Lösung, bedingt durch das chemische Milieu, unterschiedliche Strukturen und Gefüge (siehe Abb.4). Das Wasser wird durch die Auflast bis zu einem bestimmten Endwassergehalt ausgepresst, der durch den Stagnationsgradienten beschrieben wird und vom Spannungszustand abhängig ist. Je nach Wassergehalt, der neben Witterungsbedingungen auch von der Vegetation beeinflusst wird, haben Tone unterschiedliche Konsistenzen und die Eigenschaft zu quellen oder zu schrumpfen , die Plastizität wird von der mineralischen Zusammensetzung und der Korngröße des Tons bestimmt.

Abb.4: Strukturen der Sedimente in Abhängigkeit von der Aggregation (nach LAGALY)

A) Optimale Dispergierung --> dicht,
     parallel gelagert
B) Flächen-Flächen-Aggregation der
     dispergierten Teilchen --> 
     gegeneinander verworfene Pakete
C) Bänderartige Aggregation -->
     lockeres Sediment
D) Kartenhausartige Aggregation -->
     lockeres Sediment

Die DLVO-Theorie beschreibt die kolloidale Dispersion mit Hilfe elektrostatischer Wechselwirkungen zwischen den Anionen der Grenzfläche und den diffus verteilten Kationen. Die diffuse Verteilung der Kationen wird von der Temperatur und der Konzentration in der Lösung bestimmt. Zwischen den Silikatschichten kommt es zu einer elektrostatischen Abstoßung, bei direktem Teilchenkontakt zur sogenannten Born`schen Abstoßung, die den van-der-Waal`schen Anziehungskräften entgegenwirken (siehe Abb.5). Kolloidale Tondispersionen weisen jedoch von dieser Theorie abweichende Verhaltensweisen auf, z.B. können Smectite und Montmorrilonite schon bei geringeren Konzentrationen, als der Regel entsprechen, koagulieren, oder bei Vorhandensein zweiwertiger Kationen eine Dispergierung unmöglich werden. Aus der DLVO-Theorie kann  z.B. auch der Quelldruck von Tonen berechnet werden.

Abb.5: Wechselwirkungen zwischen kolloidalen Teilchen nach der DLVO-Theorie.

a) Elektrostatische
    Abstoßung (VR),
    van-der-Waals-Bindung 
    (VA), Born`sche Abstoßung     
    ( VB) und Gesamtwechsel-
    wirkungskurve (VT).
b) Änderung der
    Gesamtwechselwirkung mit
    der Salzkonzentration

Salzkonzentration: 1 – sehr niedrig, 2 – niedrig, 3 – mittel, 4 – hoch. (aus Jasmund & Lagaly 1993)

Das nicht als freies Porenwasser in Tonen bzw. Tonböden enthaltene Wasser kann in fünf unterschiedliche Bindungstypen unterteilt werden:

  1. das Oberflächenhaftwasser, unter dem eine diffuse Doppelschicht an der Oberfläche eines Kornaggregats, verstanden wird, welche in der Ingenieurgeologie häufig unter chemischen Gesichtspunkten inkorrekt als Sorptionskomplex bezeichnet wird. Die Menge des so gebundenen Wassers ist vom Koagulationsgrad und damit der frei zugänglichen Oberfläche abhängig.

  2. Sorptionswasser, welches an der Oberfläche des Tonminerals (Kristall) sorptiv d.h. durch eine chemische Bindung und reversibel festgehalten wird,

  3. das Zwischenschichtwasser, das in den Zwischenschichten von quellfähigen Tone eingelagert werden kann,

  4. das Hydratwasser, welches als Molekül am Aufbau des Kristallgitters der Tonminerale beteiligt ist, und

  5. das Hydroxylwasser, welches als Anion in Kristallgitter von Tonmineralen eingebaut ist.

Die fünf verschiedenen „Wasserarten“ sind mit Messung der spezifischen Oberfläche (erfasst das Oberflächenhaftwasser) Infrarotspektroskopie (Sorptions-, Zwischenschicht-, Hydrat- und Hydroxylwasser), Methoden der Thermoanalyse wie Thermogravimetrie oder Differential-Scanning-Kalorimetrie (Sorptions-, Zwischenschicht- und Hydratwasser) und Röntgendiffraktometrie (Hydratwasser) charakterisierbar.

3       Bedeutung für Mensch, Umwelt und Wirtschaft

Die Kenntnis des Zusammenhangs der Kristallstruktur der Tonminerale, des in Tonen gebundenen Wassers und der Eigenschaften von Tonböden fände als Grundlage nicht nur in der Bodenmechanik, sondern auch in zahlreichen anderen geowissenschaftlichen Bereichen, wie zum Beispiel der angewandten Mineralogie (Keramikindustrie etc.), der Umwelt- und Hydrogeologie (z.B. Diffusionsvorgänge von Schadstoffen in Tonen im Bereich von Deponien oder Altlasten), in der Landwirtschaft und der Exploration auf Kohlenwasserstoffe Anwendung.

Bodenmechanik: Mit der Kenntnis eines Summenparameters aus Plastizität, Konsistenz und physiko-chemischen Eigenschaften könnte das mechanische Verhalten von Tonen und Tonböden bei größeren Bauvorhaben zuverlässiger vorausberechnet werden. Vor allem unter tropischen Klimaverhältnissen ist aufgrund der Verwitterungsprozesse, der Dispersionsneigung etc. die Anwendung der rein mechanischen Ansätze nicht möglich, aber auch in unseren Breiten stellt jedes größere Bauvorhaben in Tonen eher einen geotechnischen Großversuch dar, als dass das Verhalten und die Sicherheit zuverlässig berechnet werden könnten. Auch gezielte Baugrundmeliorationen sind denkbar.

Für die Keramikindustrie ist das durch die Wechselwirkung von Wasser und Feststoff hervorgerufene rheologische Verhalten der Tonsuspension von großer Bedeutung. Auch zu erwartende Eigenschaften des gebrannten Materials können aus der Wasserbindungsstruktur abgeleitet werden.

In der Landwirtschaft z.B. Auswaschungseigenschaften, Kationenaustausch und Sorption / Desorption von Schadstoffen durch die physiko-chemische Betrachtung der Wechselwirkung zwischen Tonmineral und Bodenlösung erfasst werden. Unter ariden Klimabedingungen ist durch die Kenntnis der „Speicherstruktur“ der Tonminerale eine Optimierung der Bodenbewässerung denkbar.

Lagerstättenexploration: Das Migrationsverhalten von Kohlenwasserstoffen in den tonigen Deckschichten von Erdöl/Erdgaslagerstätten beeinflusst die zeitliche Beständigkeit eines Vorkommens, weshalb mineralogische Ansätze in der Exploration unter dem Aspekt der zunehmenden Rohstoffknappheit an Bedeutung gewinnen könnten.